www.takeapen.org 02/12/2023 14:41:04
  _searchGERMAN
Brief zum Thema „Sicherheitszaun“ an den Außenminister Joseph Fischer "Der Arafat-Zaun" Die Mauer von Den Haag Offizielle Stellungnahme zum Gutachten des Gerichtshofs in Den Haag Der Sicherheitszaun - warum? Doch die Mauer funktioniert Leserbrief Thema „Sicherheitszaun“ Musterbrief Thema „Sicherheitszaun“ Wer trägt die Verantwortung für den israelischen Sicherheitszaun? Zu Arabischen Ängste um Al-Aksa - keine Grundlage DARFUR - Offener Brief Doppelmoral in 'Haaretz'!? Wo bleiben der Aufschrei und die Verurteilung? Ursache und Wirkung nicht vertauschen Leserbrief: "Zu hoher Preis" – in Libanon!? Leserbriefe: Hisbollah/Hamas "Hochhuth würdigt Opferbereitschaft der Alliierten" Krieg der Bilder Leserbrief gegen die Manipulation der Nachrichten über die Vorfälle in Gaza Antisemitische Karikatur in der Sueddeutschen Nicht mit zweierlei Maß messen Mal wieder Manipulation der DPA Leser Der Mord als Rückfall ins Mittelalter Leserbrief: Israel als angebliche Gefahr für den Weltfrieden Israel-kritische Leserbriefe „Kunstwerk“ zur Verherrlichung eines Selbstmordattentäters Leserbrief in der HNA am 04.11.2003 Inkorrekte Darstellungen von Vorgängen im Nahostkonflikt Zu der ZDF- Heute-Redaktion Das aktuelle Stichwort: Antisemitismus" Friedensprozess am Scheideweg Grundsatzdebatte zum Antisemitismus Oder wir? Gerhard, stell Dir vor... Ethnische Säuberung auf palästinensische Art Über den wunderlichen Judenhass der islamischen Welt Die Palästinenser finanzieren? Schlechte Idee! Israels legales Recht auf Selbstverteidigung Christen der arabischen Welt Wer rettet die Christen in den arabischen Ländern? Wie Israel von den Vereinten Nationen diskriminiert und dämonisiert wird Geständnis eines Fatah-Mitglieds wirft neues Licht auf Arafats Terrorfinanzierung Radikale Botschaft, sanft im Ton Die Lügen des Arafat’s Wir sind alle Israelis Und wenn auf dem Kudamm ein Schulbus in die Luft gesprengt wird? Israel weist Kritik des Westens gegen Tötung Jassins zurück Die Kunst des Terrors - der Terror als Kunst "Illegaler Besatzer"? Erzwingt den Frieden!
Click to send this page to a colleague_send_to_a_friendGERMAN
Click to print this page_print_pageGERMAN

Radikale Botschaft, sanft im Ton

DIE ZEIT 

 

20/2004 

Radikale Botschaft, sanft im Ton

Islamisten in Deutschland predigen nicht nur Hass, sie werben mit ewigen Werten. An ihrer Gefährlichkeit ändert das wenig

 

Von Richard Herzinger

Von dieser Buchmesse berichteten die deutschen Medien nicht. Wozu auch? Ihre Leser, Zuschauer und Zuhörer können den Inhalt der meisten hier präsentierten Bücher, der Videos und Hörkassetten, nicht verstehen. Verglichen mit den großen Bücherschauen und Literaturfestivals des deutschen Kulturbetriebs, handelte es sich bei dem 2. Berliner Buch- und Kulturfest, das im April stattfand, nur um ein Randereignis. Die Autoren, die von zahlreichen türkischen Verlagen präsentiert wurden, sind in Deutschland so gut wie unbekannt.

Noch immer sitzt in unseren Köpfen die Vorstellung fest, dass das, was wir nicht lesen und verstehen können, uns auch nicht unmittelbar betreffen könne. Aber die Besucher, die sich an diesem sonnigen Frühlingsnachmittag auf der Berliner Buchausstellung umsehen, orientieren sich nicht an den Debatten, die in deutschen Talkshows, Leitartikeln und Feuilletons geführt werden. Sie suchen und finden auf jener Messe Orientierung in einem festgefügten Wertesystem und Zugehörigkeit zu einer anscheinend intakten Gemeinschaft, die alle Bereiche des Lebens umschließt. Alles das also, was in unserer auf individuelle Autonomie, persönliches Glück und Massenkonsum ausgerichteten Gesellschaft so leicht nicht zu haben ist.

Ort des Geschehens, Berlin, Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg: Die Literatur, die hier verbreitet wird, beeinflusst einen stetig wachsenden Teil der Bevölkerung unseres Landes. In unmittelbarer Nähe zum Kottbusser Tor liegt das Gemeindezentrum des Vereins Mevlana Moschee, der seine Mitgliederzahl mit „etwa 1.200" angibt. Es ist der Ort der Veranstaltung, auf der es fast ausschließlich Bücher zu kaufen gibt, die sich mit religiösen, ethischen und politischen Fragen des Islams und seiner Umsetzung im täglichen Leben befassen.

Einstweilen ist das Zentrum noch in einem hässlichen Altbau untergebracht, doch bald soll an dieser Stelle ein prächtiges „Kulturhaus" mit Moschee, Versammlungs- und Seminarräumen entstehen. Ein Projekt, das allerdings umstritten ist. Manche befürchten, dass der Mevlana-Moschee-Verein der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) nahe stehe, die vom Verfassungsschutz wegen ihres islamistischen Hintergrunds beobachtet wird. Indes, die Führung der IGMG bemüht sich neuerdings um moderatere Töne.

Islamistisch - bei diesem Schlagwort denken viele Bundesbürger weniger an die im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit für jedermann als vielmehr an so genannte Schläfer oder finster dreinblickende Mullahs. Dabei bedeutet Islamismus weit mehr: Der Begriff steht für eine weit verzweigte gesellschaftliche und kulturelle Bewegung, die wachsenden Einfluss auf das Denken und das Alltagsverhalten gerade bei jüngeren Mitgliedern der islamischen Gemeinden ausübt. Hinter der pauschalisierenden Bezeichnung „Islamismus" verbergen sich zahlreiche Strömungen und vielfältige Ausdrucksformen. Gewaltbereite Gruppen stellen in diesem Kosmos nur eine Minderheit dar. Aber das Problem besteht darin, dass die Grenzlinien zu den bloß ideologisch orientierten Aktivisten nicht immer eindeutig erkennbar sind.

Der Islamismus verbreitet eine starke Botschaft, die sich nicht auf Hasspredigten gegen die westliche Welt reduzieren lässt. Wer sich mit ihm auseinandersetzen will, muss zunächst sein Denken, seine Redeweisen und seine Taktiken begreifen. Wer dies tut, erkennt, dass der Islamismus als eine offen operierende, politisch-kulturelle Bewegung auf Dauer eine größere Herausforderung für die westliche Verfassungsordnung sein könnte als der Terrorismus kleiner Gruppen.

Allerdings findet diese Auseinandersetzung bisher so gut wie gar nicht statt. Kaum eine deutsche Zeitung, Fernseh- und Rundfunkanstalt beschäftigt innenpolitische Redakteure, die Türkisch oder Arabisch verstehen und den Debatten in muslimischen Gemeinden folgen können. Dabei leben in Deutschland ungefähr drei Millionen Muslime, gut zwei Drittel von ihnen stammen aus der Türkei. Die allermeisten von ihnen verbinden mit ihrem Glauben keinerlei politische oder gar radikale Absichten. Erschreckend genug aber, allein bei der IGMG sammeln sich laut Verfassungsschutz 26.500 Mitglieder (siehe Überforderte Ermittler).

Die große Weltreligion Islam darf nicht mit dem Islamismus gleichgesetzt werden. Der Islamismus ist eine politisch-ideologische Bewegung, denn er verspricht eine ideale Gesellschaft, in der alle Widersprüche der modernen Zeit aufgehoben und durch die Harmonie einer ganzheitlichen, gemeinschaftlichen Ordnung ersetzt werden.

Wahr ist aber auch, dass der Islamismus ohne seine inbrünstige Berufung auf die „einzig wahre" Religion nicht wirksam wäre. Daraus bezieht er einen Großteil seiner Anziehungskraft. Der Islamismus verspricht nicht bloß eine weltliche ideale Ordnung, sondern er kann darauf verweisen, dass sie durch den Willen einer höheren, unbezweifelbaren Macht verbürgt sei. Ein Islam ohne Islamismus ist denkbar. Ein Islamismus ohne Islam nicht.

Bei dem ägyptischen Religionsgelehrten Mohammed Qutb, dessen Schriften auf dem Berliner Buchfest auf Deutsch ausliegen, handelt es sich, wie in der Einleitung erklärt wird, um den Bruder von Sayyid Qutb, einen maßgeblichen Vordenker des modernen militanten Islamismus, der 1966 unter dem Regime Nassers während der Repression gegen die fundamentalistische Moslembruderschaft in Ägypten hingerichtet worden war. Mohammed Qutb wird als „Verfasser zahlreicher Schriften und Bücher und anerkannter Gelehrter des islamischen Rechts" vorgestellt. Er lebe, fern seiner ägyptischen Heimat, als Universitätsprofessor in Saudi-Arabien. Er fasst die islamistische Verheißung so zusammen: „Wir glauben, dass der Islam das beste aller Systeme auf Erden ist. Und wir glauben durch unsere geschichtliche, geografische und nationale Stellung, dass der Islam der einzig mögliche Weg ist, zu Selbstachtung, Stolz und Gerechtigkeit zu gelangen. Aber wie kann man heute, in einer islamfeindlichen Welt, den Weg zur Verwirklichung dieses Systems gehen?"

Der Schriftgelehrte gibt selbst die Antwort: „Zur Verwirklichung dieses Vorhabens gibt es nur einen einzigen Weg - den Glauben! Das, was diese Religion so groß werden ließ, ist auch jetzt wieder seine Heilung ... Es gibt keinen Zweifel daran, dass sich die Menschheit eines Tages in eine Welt retten muss, in der die Materie mit dem Geist und der Seele vereint ist. Es besteht kein Zweifel daran, dass sie sich eines Tages in den Islam ergeben wird."

Ein solch großes Ziel lässt sich nicht allein durch Hasspredigten, durch Druck und Drohungen verfolgen. Die Präsentation dieser Botschaft muss deshalb zunehmend verfeinert, die sozialen und kulturellen Angebote müssen reichhaltiger werden. Damit werden sie für immer mehr moderne Muslime attraktiv. Nicht nur für die ungebildeten und verelendeten Underdogs.

Von religiösen Botschaften angezogen fühlten sich offenbar auch jene beiden Mädchen, die sich an einem der letzten Tage des Buch- und Kulturfestes in Berlin an einem Stand für Video- und Musikkassetten interessierten. Sie fallen auf, denn sie sind hier die einzigen weiblichen Wesen, die kein Kopftuch tragen. Auf die Nachfrage, für welche Art von Literatur sie sich interessieren, erklären sie in flüssigem Deutsch, sich mit religiöser Anleitungsliteratur eingedeckt zu haben. Ihr Wunsch sei es, noch bessere Musliminnen zu werden.

Beide sind 17 Jahre alt, in Berlin geboren, sie besuchen ein Gymnasium. Welche Rolle die Religion in ihrem täglichen Leben spielt? „Die allergrößte", sagen sie mit Nachdruck. Was das für ihren Alltag praktisch bedeute? „Wir machen bestimmte Sachen nicht, die Deutsche in unserem Alter tun, zum Beispiel am Abend ausgehen." Warum sie kein Kopftuch tragen? „Wir warten damit bis zur Hochzeit. Dann werden wir das Kopftuch anlegen." Dass sie einen Mann finden könnten, der das nicht will, scheint ihnen erst gar nicht in den Sinn zu kommen.

Scharon als Vampir

Gekauft haben die beiden Mädchen deutsche Übersetzungen türkischer Schriften. Neuerdings werden zunehmend türkische und arabische Bücher, die den Gläubigen die wahre Auslegung des Koran versprechen, ins Deutsche übertragen. „Wir wollen die deutschen Ausdrücke für die Worte wissen, die im Koran Bedeutung haben", erläutern die Mädchen, „damit wir den Islam auch den Deutschen erklären können."

Zu den Angeboten auf der Buchmesse gehörten auch Exemplare der türkischen Tageszeitung Vakit. Auf der Titelseite einer ihrer neuesten Ausgaben ist eine Karikatur abgebildet, die einem den Atem stocken lässt. Man sieht darauf eine Gestalt, deren Kopf aussieht wie die Weltkugel. Grimmig tippt sie gerade einem in Stürmer-Manier gezeichneten Zerrbild des Juden - dargestellt mit Schläfenlocken und bluttriefenden Händen - auf die Schulter. Voller Entsetzen wendet sich dieser um: Die Gestalt mit der Weltkugel als Kopf trägt einen Sprengstoffgürtel. Nach der gezielten Tötung des Hamas-Führers Scheich Jassin kam Vakit, die mit einer geschätzten Auflage von rund 50.000 Exemplaren zu den zehn größten türkischen Zeitungen gehören soll, auf der Titelseite mit der Schlagzeile „Tollwütiger Jude!" heraus. Neben die Balkenüberschrift platzierte das Blatt eine Collage, die den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon mit Vampirzähnen zeigt.

Käme eine deutschsprachige Zeitung mit solcher Aufmachung daher - die Reaktionen der kritischen Öffentlichkeit lässt sich leicht vorstellen. Vakit dagegen wird mitten in Berlin unbeanstandet verkauft. Welche Auswirkungen die Schlagzeilen auf die Gemütslage der Leser hierzulande haben, scheint in Deutschland außerhalb der muslimischen Gemeinden niemand zu interessieren.

Auf diese Leser geht ein Dauerbombardement von israelfeindlichen und antijüdischen Hasstiraden nieder. Der Palästina-Konflikt ist eines der täglichen Hauptthemen von Vakit; das Blatt lässt keinen Zweifel daran, wen es für den Alleinschuldigen am Blutvergießen im Nahen Osten hält. Unter der Überschrift „Der größte Traum des Mörders ist die Israelisierung Palästinas" heißt es in einem Beitrag: „Es wird berichtet, dass ... Scharon plane, durch die Tötung palästinensischer Führer die Spannungen zu erhöhen, um dann gegen die gesamte Bevölkerung einen Massenmord zu verüben. Es wird betont, dass nach diesem hinterhältigen Plan Juden aus der ganzen Welt in den geräumten Gebieten angesiedelt werden sollen."

Die vage Formulierung „es wird berichtet" erlaubt es, die Quelle dieser vermeintlichen Information im Dunkeln zu lassen. Auch achtet das Blatt in den Formulierungen darauf, nicht unmittelbar zu weiteren Selbstmordattentaten gegen Israel aufzurufen. Verbreitet wird diese Botschaft aber indirekt, durch die ausführliche Wiedergabe aufgebrachter Reaktionen aus der islamischen Welt über die Taten Israels. So wird über eine Demonstration in Istanbul berichtet, ausführlich der Wortlaut der dort skandierten Parolen rapportiert: „Die Bürger ... trugen dabei Spruchbänder mit den Aufschriften ,Hoch die globale Intifada‘, ,Mörder Israel, raus aus dem Mittleren Osten‘, ,Israel wird im Blut der Blutzeugen ertrinken‘". Genannt werden des Weiteren die Sprechchöre: „Unser Weg ist der Weg des Blutzeugen Rantisi" und „Die Wut der Hamas wird Israel ersticken".

Zum Kreis jener Autoren, die auf der Berliner Bücherschau eigene Werke signierten, gehört der in Istanbul lebende Autor Münib Engin Noyan. Kürzlich ist die deutsche Fassung seines Büchleins Mein Qur'ân Tagebuch erschienen, Qur'ân steht für Koran. Gestenreich erläutert Noyan einer Gruppe von türkischen Jugendlichen den wahren Sinn des Islams, wobei er immer wieder auf ein zerlesenes Exemplar des Heiligen Buches deutet, das er in die Höhe hält. Er ist überzeugt, dass die Antworten auf alle Fragen des heutigen Lebens bereits im Koran stehen, sie müssten nur entdeckt werden. Ausdrücklich bezieht er das auch auf die Politik. Alles Leben sei von Allah geschaffen und seinem Willen unterworfen, die Politik sei doch nur ein Teil des Lebens.

Alle Anleitung aus dem Koran

Es ist noch nicht lange her, da war Münib Engin Noyan ein in der Türkei sehr populärer Musiker, dessen Repertoire von Folklore bis Musical reichte, ein Idol der linken, säkularen Jugend. Mittlerweile aber widmet er sich ausschließlich der Verbreitung seines Verständnisses vom Koran. Im Gespräch spielt er sein Charisma als Medienstar genüsslich aus. Sein Deutsch ist einwandfrei, er habe, betont er, eine deutsche Großmutter. Noyan scheint kritisches Nachfragen zu mögen, seine Antworten sind präzise, die Worte muss er nicht lange wägen. Nein, er habe sich aus dem Musikgeschäft keineswegs zurückgezogen, weil er etwas gegen die moderne Welt habe. Der Koran biete Anleitung für alle Lebenslagen und Epochen, folglich also auch für die heutige. Noyan lacht, er tut alles, um den Eindruck zu widerlegen, ein strenggläubiger Muslim sei freudlos und bigott. Die Metaphern, die er benutzt, sollen signalisieren, dass er sich auf der Höhe der Zeit befindet. Der Islam sei wie das neueste Microsoft-Programm, mit dem man auch alle früheren Versionen öffnen könne. So habe auch der Islam alles, was an den früheren Religionen gut und wertvoll war, in sich aufgenommen und diese übertroffen.

Gilt denn aber alles, was Gott über den Propheten Mohammed offenbart hat, wörtlich und uneingeschränkt, auch die Scharia, das religiös begründete Recht des Islam? „Aber natürlich!", ruft Noyan. „Die Scharia ist das oberste Gesetz der Muslime." Was aber ist, wenn sie mit der Verfassung eines Landes wie Deutschland in Konflikt gerät, müssen sich Muslime dann trotzdem streng an sie halten? Selbstverständlich, sagt Noyan bestimmt, wer die Scharia nicht unter allen Umständen als sein oberstes Gesetz betrachte, sei kein Muslim. Ob er damit meint, man müsse notfalls auch gegen geltende Gesetze verstoßen, bleibt allerdings offen.

In seinem Koran-Tagebuch hat Münib Engin Noyan ein Kapitel der Frage gewidmet, wie sich Muslime in einer nicht-muslimischen Umgebung verhalten sollen. Er erzählt von einem türkischen Friseur in Deutschland, dem er rät, eine deutsche Übersetzung des Korans griffbereit zu haben, um sie einem deutschen Kunden in einem geeigneten Augenblick zum Lesen zu geben. Noyans offensives Auftreten signalisiert ein neues Selbstbewusstsein, mit dem islamistische Strömungen der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft neuerdings gegenübertreten. Die Botschaft: Es gibt nichts, was ein rechtgläubiger Muslim seinen nicht-muslimischen Mitbürgern gegenüber zu verbergen hätte.

Einer der erfolgreichsten Autoren religiös-politischer Schriften, die auch in Deutschland verbreitet werden und auf dem Berliner Buchfest ausliegen, ist Adnan Oktar, der unter dem Pseudonym Harun Yahya publiziert. Oktar, 1956 in Istanbul geboren, der von seinem dort ansässigen Okusan-Verlag als „bekannter türkischer Intellektueller" vorgestellt wird, hat angeblich bereits mehr als zweihundert Bücher verfasst. Sie werden in zahlreichen Sprachen, darunter Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch und Albanisch, vertrieben. Unter seinen ins Deutsche übersetzten Werken gibt es auch eines zum Thema Islam und Terrorismus. Oktar alias Harun Yahya erklärt darin, wie der Klappentext zusammenfasst, „dass der Islam Terrorismus verbietet und auf die Errichtung von Frieden und Sicherheit in der Welt ausgerichtet ist".

Eine Botschaft, die für westliche Ohren zunächst beruhigend klingt. Doch die kategorische Behauptung, Islam und Terror schlössen einander definitiv aus, hat auch eine Kehrseite. Sie kann von den Lesern nämlich auch so verstanden werden: dass der real existierende Terrorismus von Muslimen verübt werde, sei unmöglich. Dann aber drängt sich die verschwörungstheoretische Vermutung auf, terroristische Anschläge würden von Feinden des Islams begangen und den Muslimen in die Schuhe geschoben, um ihnen zu schaden.

Verschwörungstheoretisches Denken liegt Harun Yahya, der eine Homepage über die Machenschaften der „Freimaurer" betreibt, durchaus nahe. In Schriften wie Die Allianz der Tugendhaften. Gegen den moralischen Verfall durch Unglauben zeichnet er ein simples Schwarzweißbild vom Verhältnis zwischen Gut und Böse. Es gebe eine „Allianz der Bösen", die für alles Unheil, für Unterdrückung und Unfriede auf der Welt verantwortlich sei. Und Harun Yahya lässt keinen Zweifel daran, gegen wen sich diese „Allianz" richtet: „Die Existenz von gläubigen Menschen", schreibt er, „ist der Hauptgrund, warum die Bösen sich vereinigen, denn ein Gläubiger ist ein Vertreter des Islams, Gottes wahrer Religion, und strebt nach der Implementierung der moralischen Werte des Quran auf Erden... Wo immer es Prostitution, Bestechung, Hochstapelei, Glücksspiel, Betrug, Grausamkeit zu Waisen und Armen, Verschwendung, Unmoral sowie Mangel an Liebe und Respekt gibt, ist die Allianz der Bösen aktiv."

In einem Zirkelschluss hämmert Yahya seinen Lesern somit ein, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Weil der Islam die einzig wahre Religion Gottes sei und jene, die an ihn glauben, für das Gute stünden, müsse alles Böse auf der Welt auf das Konto der „Ungläubigen" gehen. Und folgerichtig konzentrierten sie ihre üblen Bestrebungen darauf, die einzig wahren „Tugendhaften", nämlich die Muslime, anzugreifen. „Dies ist eine Zeit, in der die Tugendhaften, welche bereits ihrer grundlegenden Rechte und Freiheiten beraubt worden sind, unterdrückt und ungerecht behandelt werden, wohingegen Schwindler, Mörder und Tyrannen die Freiheit haben, das zu tun, was sie wollen. Wenn unschuldige und schutzlose Leute überall auf der Welt ermordet werden, bloß weil sie an Allah glauben und weil sie sagen, dass sie Muslime sind, und wenn solche, die sich ,Muslime‘ nennen, bei all diesem Leiden gelassen bleiben und darüber mit einem Lächeln im Gesicht sprechen können, dann ist dies das Resultat der Arbeit der bösen Allianz. Das Wiederherstellen von Frieden und das Sichern von Wohlergehen, Glück, Gerechtigkeit, Toleranz, Liebe und Respekt in der Welt ist nur durch Anerkennung und Implementierung der Werte des Quran möglich."

Von wohl keinem deutschen Gericht könnten diese Sätze als Aufruf zur Gewalt oder zum Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung gewertet werden. Doch enthalten sie alle Elemente einer Argumentation, aus der sich diese Schlussfolgerung ziehen lässt. Demnach haben sich alle „Bösen" der Welt gegen den Islam verschworen. Yahya gibt dafür auch jenen Muslimen die Schuld, die in diesem Kampf passiv bleiben.

Glaube aus dem Internet

Broschüren diesen Inhalts sind nicht die einzige Form der Verbreitung von Ideen islamistischer Strömungen. An den Angeboten im Internet lässt sich ihre große Bandbreite ermessen. Von Schweden aus verbreitet der marokkanische Exilant Ahmed Rami seine extremistische, antisemitische Propanda auf seiner Homepage Radio Islam, die man in vielen Sprachen, auch auf Deutsch, lesen kann. Dort kann man zum Beispiel sein Buch Die Macht der Zionisten herunterladen, in dem Rami den Holocaust als „Schwindel" bezeichnet. Außerdem versucht er nachzuweisen, die berüchtigten Protokolle der Weisen von Zion, eine an der Wende zum 20. Jahrhundert entstandene Fälschung des zaristischen Geheimdienstes, seien authentisch und gäben die bis heute gültigen Pläne der „Zionisten" zur Unterwerfung der Völker wieder. Ramis Propaganda stellt ein Bindeglied zwischen islamistischen Extremisten und rechtsradikalen Geschichtsrevisionisten dar.

Von solchen offen judenfeindlichen Anschauungen versuchen sich Internet-Seiten wie www.muslim-markt.de fern zu halten. Auf dieser Seite finden deutschsprachige Muslime ein umfassendes Serviceangebot: Von Hinweisen auf muslimische Schulen, auf Friseure und Hotels bis zu einer „Liste der Speisezusätze im Hinblick auf ihre religiöse Reinheit". Gleichwohl wurde Yavuz Özuguz, der die Seite gemeinsam mit seinem Bruder Görhan betreibt, im Januar dieses Jahres vom Amtsgericht Delmenhorst wegen Volksverhetzung verurteilt. Anlass war die Veröffentlichung eines Artikels mit dem Titel Zionismus ist Rassismus. Beanstandet wurden auch antiisraelische Äußerungen in einer von muslim-markt wiedergegebenen Rede von Ajatollah Ali Said Chamenei, dem mächtigsten Mann im Iran und Führer der konservativen Religiösen.

Die Brüder Özuguz stehen der iranischen Richtung des schiitischen Islams nahe. Ihr Verein Islamischer Weg ist Teil des deutschen Ablegers des weltweiten Netzwerks Ahl-ul-Bayt World Assembly, das von Chamenei angeleitet wird. Mittelpunkt in Deutschland ist das Islamische Zentrum Hamburg (IZH). Nach einer Studie der Universität Hamburg aus dem Jahr 2002 schreibt die Satzung des Vereins vor, dass der Leiter des Zentrums ein ausgewiesener iranischer Theologe sein muss. Die Besetzung des Amtes erfolge stets von Iran aus. Das IZH ist Mitorganisator des jährlich stattfindenden Al-Quds-Tags, an dem nach einem Aufruf des Ajatollah Chomeini aus dem Jahre 1979 alle Muslime der Welt für die „Befreiung Jerusalems" demonstrieren sollen.

Die Kraft der Konvertiten

Das Zentrum ist Anziehungspunkt für regierungstreue Iraner. Doch die Bewegung, die auf Chomeinis Idee einer Einigung aller muslimischen Glaubensrichtungen zurückgeht, zieht auch viele Sunniten arabischer, pakistanischer und afrikanischer Herkunft in ihre Moschee.

Ebenfalls geht die Studie der Uni Hamburg auf die wachsende Rolle der zum Islam übergetretenen Deutschen im Gemeindeleben des Islamischen Zentrums ein. Mit knapp einem Dutzend sei die Zahl dieser Konvertiten zwar nicht groß, doch das Zentrum nehme zunehmend ihre Hilfe speziell für die „Werbung für den Islam" in Anspruch. Man setze dabei auf deren „Sprachkompetenz und Institutionenkenntnis". In der iranischen Gemeinde gelten sie „durch ihre Konversion als Beweis für die Überlegenheitsideologie des Islam". Zugleich hält man sie aber auch für übereifrig - besonders die Frauen, die strikt auf die Verhüllung nach den im Iran geltenden Vorschriften achten.

Deutsche Konvertiten haben mittlerweile ein loses Netzwerk aus vielen Gruppen und Eigeninitiativen herausgebildet. Sie haben rund um Diskussionsforen wie die Monatszeitschrift al-Islam eine breite Debatte entwickelt, wie der Islam der deutschen Gesellschaft als einzige Alternative zum angeblichen Verfall westlicher Werte nahe gebracht werden kann. So präsentiert Mikail Alman auf der Website Islam Offensiv seine Ideen über die „Werte des Westens" und den Islam als einzigen Gegenentwurf: „Die Zeiten wandeln sich und wir uns mit ihnen ... Eines aber bleibt konstant: die Glaubensgewissheit der Muslime. Deshalb ist der Boden, auf dem wir gehen, fest und sicher. Deshalb haben wir das Ziel am Ende des geraden Weges immer ganz genau im Auge. Deshalb kann uns nichts erschüttern - gerade in unseren Tagen, in denen die Muslimen-Verfolgung weltweit forciert wird, weil der ,Westen‘ seit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums keine Alternative mehr hat - außer dem Islam und seinem Gesellschaftsmodell."

Diese erweckten deutschen Muslime suchen nach Wegen aus der „Parallelgesellschaft". Sie verstehen sich zunehmend als integraler Teil der deutschen Gesellschaft und nicht mehr als exotische Randgruppe. Dabei entwickeln sie ein nicht nur religiöses, sondern auch politisch-soziales Missionskonzept. Als Grundlage dienen die angeblich unfehlbaren, zeitlosen Wahrheiten des Korans. Weit auf diesem Weg vorangekommen ist der Rechtsanwalt Abu Bakr Rieger, der die in Berlin erscheinende Islamische Zeitung herausgibt. In dieser Monatszeitung sind allerdings in letzter Zeit auch bemerkenswerte Zeichen der Mäßigung zu beobachten. So stellte Rieger in einem Kommentar unlängst die Frage, ob sich die Muslime tatsächlich überzeugend genug vom Terror distanzierten, ob sie deswegen nicht doch einmal auf die Straße gehen sollten. Allerdings nennt Rieger den Terror durchgängig „nihilistischen Terror" - und drückt damit aus, dass dieser eben doch nichts mit dem Islam zu tun habe.

Ob diese neue islamistische Szene in einen demokratischen Diskussionsprozess eingebunden werden kann, oder ob sie zu einem Anziehungspol auch für mehr und mehr heilssehnsüchtige Deutsche wird - das hängt nicht zuletzt davon ab, wie selbstbewusst sich die demokratische Öffentlichkeit einer Auseinandersetzung mit diesen Kräften stellen wird. Ignorieren oder verbieten lässt sich der neue Islamismus nicht mehr. Er kann nur argumentativ bezwungen werden.

 

Quelle: Die Zeit



Copyright © 2001-2010 TAKE-A-PEN. All Rights Reserved. Created by Catom web design | SEO