Christen der arabischen Welt
Paul Uri RUSSAK: Uris Tagesbuch - 16.3.2007
Es ist eine bekannte Tatsache, dass grosse Teile der christlichen Bevölkerung des Libanons, der palästinensischen Westbank, Irak, Iran und auch Ägyptens nach Europa, die USA, Kanada und Australien flüchten. Die christliche Population in diesen muslimischen Ländern wird kleiner und kleiner. Der Grund dazu ist die ebenso bekannte Tatsache, dass sie in diesen (aber auch anderen) muslimischen Ländern bedroht, verfolgt und umgebracht werden. Zum Teil durch politische und sektiererische Machthaber wie in Palästina, zum Teil durch Islamisten wie im Libanon und Ägypten. In den Medien wird seit Jahren unterschlagen, dass im Gegensatz zu uns Juden, die sich nach nationalen Katastrophen aufrappeln und ihr Schicksal gemeinschaftlich in eigene Hände nehmen, das Schicksal der Christen in muslimischen Ländern die christliche Welt nicht sonderlich zu berühren scheint.
Christen und Juden in Israel und im Westen sammeln für die „armen" Palästinenser, die das viele Geld der UNO, aus Europa und Amerika statt für Nahrungsmittel für Waffen und Terror ausgeben - aber über Aktionen oder gar Demonstrationen für die verfolgten christlichen Minderheiten hört, sieht oder liest man nichts. Ich habe mich ein wenig umgesehen und Informationen zusammengetragen, die ich hier als Zusammenfassung präsentiere. Diese ist weder umfassend und schon gar nicht komplett, da ich aber über das Thema weder promovieren noch ein Buch schreiben will, muss diese kurze Abhandlung fürs erste genügen. Ich stelle die Frage, warum das weltweite Christentum, in all seinen Richtungen, sich nicht für ihre verfolgten Glaubensbrüder in der arabischen Welt einsetzt.
Ob Christen in arabischen Ländern überhaupt Araber sind ist umstritten. Angehörige altorientalischer Kirchen, wie die Kopten Ägyptens, die Maroniten im Libanon, die Syrisch-Orthodoxe Kirche, die Assyrische Kirche (auch Nestorianer genannt), die mit ihnen verwandte Chaldäisch-Katholische Kirche und andere sind es wahrscheinlich nicht, denn sie waren in ihren Ländern seit Jahrhunderten ansässig, meist lange bevor die Araber aus ihrer arabischen Halbinsel ausbrachen und mit dem Schwert den Islam verbreiteten. Durch die starke Ausweitung arabischer Kultur und politischer Systeme sowie arabistischer Ideologien, sind die Christen in den davon betroffenen Ländern zum Teil arabisiert worden. Viele fühlen sich heute zwangsarabisiert, ihre Identität, ähnlich wie die der Kurden und Assyrer in der Türkei, wird unterminiert (Dr. Walid Phares, 2004).
Ich habe versucht statistische Daten über die Anteile der Christen in den Ländern Ägypten, Libanon, Syrien, Irak, Jordanien und Palästina finden. Es gibt sie, doch sind die Unterschiede der verschiedenen Statistiken, obwohl stets für dasselbe Jahr, so gross, dass ich darauf verzichtete, Zahlen und Vergleich zu bringen, mit wenigen Ausnahmen, die mir verlässlich erscheinen. So sollen in obgenannten Ländern in 1995 rund 6,43 Millionen Christen gelebt haben, ein Bevölkerungsanteil von 6,3%. Geordnete Statistiken fand ich, wie gesagt, nicht, doch einzelne Angaben sind zwar aussagekräftig, aber trotzdem mit Vorsicht zu geniessen. Hier ein paar konkrete Beispiele aus den Publikationen von Magdy Khalil und anderen
Quellen:
Nehmen wir als erstes das uns Israelis nahe stehende Bethlehem in der besetzten Westbank. 1990 waren 60% der Stadtbewohner Christen, 2001 waren es noch 20%. Inzwischen sinkt diese Zahl noch weiter. In der Westbank und Gaza gesamthaft lebten vor wenigen Jahrzehnten noch 17% Christen, heute sind es weniger als 2%. Gemäss Magdi Khalil (2005), wurde, nachdem eine palästinensisch-muslimische Führung unter der Leitung von Jasser Arafat das Ruder in der Westbank übernahm die christliche Bevölkerung mit einer Steuer zur Finanzierung der Selbstmordattentate belegt. Unverschleierte christliche Frauen wurden in Gaza angegriffen, sodass sie aus Angst einen Schleier anlegten.
Im Irak sind 40% aller Flüchtlinge Christen (Okt. 2006), obwohl ihr Bevölkerungsanteil weniger 3% beträgt. (Interessant ist auch die Tatsache, dass im nichtarabischen, aber nicht minder islamischen Iran, der christliche Bevölkerungsanteil von 0,1% auf 0,01% gesunken ist). Früher vom säkularen Saddam Hussein vor Islamisten geschützt, wenn nicht sogar protegiert, sind sie im gegenwärtigen innerislamischen Terror- und Bürgerkrieg zwischen die Fronten geraten. Der islamische Fanatismus kroch unter dem Stein hervor, griff erst die Christen gehörenden Läden alkoholischer Getränke an und zerstörte einige Hundert davon. Danach wurden die unverschleierten christlichen Frauen terrorisiert, Kirchen angegriffen und als nächstes wurden Christen aus „religiösen" Gründen umgebracht. Heute sind 40% aller irakischen Flüchtlinge Christen, obwohl ihr Bevölkerungsanteil nur etwa 2% beträgt.
Der Libanon war bis 1975 ein Staat, dessen Bevölkerung aus 50-60% Christen bestand, die den relativ modernen westlichen Stil des Landes bestimmt hatten. Heute ist dieser Prozentsatz auf 25-30% gesunken, das libanesische Emigrationsministerium schätzt die Zahl seither ausgewanderter Libanesen auf 5 Millionen, davon 3,5 Millionen Christen. Der libanesische Patriarch Nasr Allah Safir drückte die Situation so aus: „Die [libanesischen] Christen fühlen sich [politisch] ausgelassen, klar unerwünscht". Die Tage des Libanons als Zufluchtshafen verfolgter Minderheiten sind offensichtlich vorbei. Wie Brigitte Gabriel in ihrem Buch „Because they hate" (Weil sie hassen) beschreibt, wurden in den siebziger Jahren ganze christliche Dörfer erst von Palästinensern, später von Islamisten, angegriffen und ihre Einwohner zu Tausenden getötet. Das war weit vor dem israelischen Einmarsch in den Libanon von 1982 und wurde vielleicht deshalb von der Welt ignoriert.
Die Kopten in Ägypten leben gefährlich. Sie gelten als isolierte Minderheit im Land, als verfolgte Kirche. Mushee Maouz, ein ägyptischer Journalist beschreibt des so: „Die koptische Teilnahme am politischen Leben ist minimal. Die friedliche Integration der Kopten in die [ägyptische] Gesellschaft begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts, wurde aber immer wieder durch militante Islamisten (es gab sie schon damals. Uri) unterbrochen, was die Kopten beunruhigte und zu Spannungen zwischen Muslimen und Christen führte". Kopten werden von Islamisten einzeln in den Grosstädten und gleich gruppenweise in den Dörfern in Pogromen ermordet, ihre Kirchen verbrannt. Nur wenig davon ist darüber in den Medien zu lesen. Im Gegensatz zu anderen christlichen Gemeinschaften im Mittleren Osten, sprechen die Kopten heute recht offen über ihre Lage und ihre Alternative - die Auswanderung.
In Syrien und Jordanien, zwei Ländern, in denen es Christen noch relativ gut geht, werden sie von Islamisten und der danieder liegenden Wirtschaft bedrängt. Seit dem 11. September 2002 leiden sie unter dem Hass gegen alles Westliche. Um den britischen Reporter Martin Buckley zu zitieren: „Die Christen in Jordanien ....... werden fälschlicherweise verdächtigt eine Fünfte Kolonne zu sein, weder dem Westen noch dem Osten zuzugehörend. Ihre Loyalität und ihr Patriotismus wird bezweifelt." Ein unglücklicher und unberechtigte Vorwurf, der einigen von uns bekannt vorkommen wird.
Das sind nur ein paar Beispiele aus der Nachbarschaft. Christen werden auch in Indonesien und in katholischen Philippinen auf brutalste Art und Weise gejagt. Oh ja, in Saudi Arabien gibt es auch Christen - aber alles Ausländer, denn jemand muss dort ja auch arbeiten. Die Ausübung des christlichen und jedes anderen nicht islamischen Glaubens wird sehr streng bestraft, weit strenger noch als der Konsum eines Gläschen Weins.
Die Abwanderung ganzer christlicher Volksteile aus der arabischen Welt in den Westen begann in 1960, als durch Verstaatlichungen der Wirtschaft dieser Staaten, alle mit autoritären, wenn nicht sogar totalitären Regierungen, die Aussicht auf eine wirtschaftlich und sozial positive Entwicklung noch weiter abnahm, als sie schon war. Zudem bestand (und besteht) ein grundsätzliches Problem der im Vergleich zu ihren nichtchristlichen Mitbürgern weit besser gebildeten Christen, indem in diesem Teil der Welt die Idee der Partizipationsdemokratie und der Menschenrechte nie respektiert worden ist. Der Einfluss von Demokratie und die Einführung einer offenen freien Gesellschaft blieb daher reines Wunschdenken.
Seit dem Erstarken des fundamentalistischen Islams der letzten zehn bis fünfzehn Jahre hat sich den sozialen und wirtschaftlichen Problemen der arabischen Gesellschaft, das Problem des religiösen Fanatismus dazugesellt. In der Zeit des arabischen Nationalismus, der sich im Nasserismus und im Entstehen der faschistischen und säkularen Ba'ath-Partei in Ländern wie Syrien und Irak manifestierte. In der quasi-westlichen Ba'ath waren christliche Araber oft führend dabei. Die Ba'ath-Partei wurde vom griechisch-orthodoxen Christen Michel Aflaq in 1947 gegründet und kam in diesen zwei Ländern in 1963 als pan-arabische Partei an die Macht. Sie trennten sich aus Gründen der Rivalität in 1966. In Syrien regiert sie noch heute, in Irak fand sie mit dem Hinscheiden Saddam Husseins ein Ende, auch wenn sie in Teilen der irakischen Terrorszene ideologisch noch überlebt. Bis heute jedoch gibt es einzelne arabische Christen, die gegen westliche Werte und gegen den Zionismus kämpfen - ein Phänomen, das für uns schwer zu verstehen ist. Inzwischen wurde der säkulare Ba'athismus vom noch weit rabiateren Islamismus abgelöst - das irakische Volk ist vom Regen in die Traufe gefallen.
Mehr den je leben arabische Christen (wie auch Juden, die jedoch fast gesamthaft aus der arabischen Welt verjagt worden sind) inmitten einer rassistischen Kultur, die Nicht-Muslime als minderwertig betrachtet. Durch den Jihadismus, der im heutigen Islam den Ton angibt, auch wenn er zahlenmässig wohl in der Minderheit gegenüber einer schweigenden und verschüchterten Mehrheit steht, werden Christen eingeschüchtert. Das hat, so scheint es, dreierlei Folgen. Entweder sie fliehen ins Ausland, eine Wahl die vor allem begüterten Christen wahrgenommen werden kann. Oder, zweitens, sie ducken sich und warten, bis das islamistische Unwetter vorüber ist - eine in meinen Augen totgeborene Hoffnung. Oder, drittens, sie machen mit, werden „islamistischer" als El-Kaida und versuchen sich damit einzureden, durch Selbstaufgabe überleben zu können. Damit sind sie gewissen Juden ähnlich, die vor allem im Ausland, aber auch einige wenige Israel, die im Chor der „Delegitimisten" Israels mitsingen, seine imaginären Verbrechen (denken wir an das „Massaker" von Jenin und ähnliche Lügen) am Leben erhalten, sich in grotesken Vereinigungen organisieren und all das umarmen, das bei denkenden Menschen der freien westlichen Gesellschaft eigentlich Abscheu auslösen sollte. Die Pervertierung des Wortes „Gerechtigkeit", wie in „gerechtem Frieden", ist das Markenzeichen.
Ich entschuldige mich, wieder einmal abgeschweift zu sein.
Abschliessend noch eine Erklärung. Bestimmt werde ich gefragt werden, warum ich über Christen der arabischen Welt berichte, ja mich quasi für sie stark mache. Die gemeinsame Vergangenheit zwischen Juden und Christen war vorwiegend hässlich, die Gegenwart und Zukunft sieht heller aus. Obwohl ich eigentlich für keine Religion, nicht einmal für die eigene, allzu grossen Respekt hege, besitze ich einen entwickelten Sinn für Solidarität. Deshalb frage ich mich, wenn ich mit der Situation der Christen der arabischen Welt konfrontiert bin: Warum setzt sich das weltweite Christentum aller Schattierungen nicht für seine Brüder ein??? Hat es Angst vor dem Bleihammer der Erdölindustrie, vor jihadistischem Terrorismus, hat es Angst vor Emigranten mit dunklerer Haut und anderer Sprache? Oder gar vor diplomatischen Krisen mit den Machthabern im Mittleren Osten und noch mehr antichristlichen Pogromen in der Welt, in der der Islam den Ton angibt? Ich weiss es nicht, ich kann nur raten.
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